Zuverlässigkeit

Ich fuhr mit dem Fahrstuhl hoch in diesem Schwestern-Wolkenkratzer in der großen Stadt. Lauter Krankenschwestern übereinandergestapelt. In der Kabine traf ich unerwartet auf Tina, die ihre Künstler-Karriere aufgegeben hatte, um Medizin zu studieren. Sie arbeitete zufällig auch in der Psychatrie – das iss ja soo interessant, mit all den Verrückten – in der auch Schwester Angela tätig war, die ich liebte. Tina war in meiner Studienzeit kurz mal eine übergroße Liebe gewesen. Eines Nachts nahm sie mich mit in ihre Kommune, und während wir gerade ficken wollten, hämmerten ihre Kommunarden auf der Zimmertür rum, weil sie sich was anderes mit Tina vorstellten und mich haßten wie die Pest, denn ich hatte ihren politischen Putsch an der Kunsthochschule verhindert. Das Hämmern und Schimpfen irritierte mich so, daß ich keinen hoch bekam, was mich noch wochenlang betrübte. Und das war’s dann mit Tina.
Als Tina mich plötzlich in der Fahrstuhltür erblickte, behauptete sie: „Ich werd verrückt!“
„Nein,“ stellte ich klar, „du wirst nicht verrückt!“ Und stieg auf der Etage aus, wo sich das Appartement von Angela befand.
Als ich das Zimmer meiner Geliebten betrat, war da eine Mitarbeiterin anwesend und direkt neben der Matratze lag auf dem Fußboden noch die zweite – wie WIR es immer machten. Leicht beunruhigt stellte ich mich neben der Mitarbeiterin, der die Situation sichtlich peinlich war, ans Fenster und kuckte hinab auf den Parkplatz. Dann hörte ich Geräusche aus der Dusche, die nicht von Angela stammen konnten, denn jene hantierte im Raum. So wurde es richtich spannend. Schließlich kam ein frisch gewaschener junger Mann aus der Dusche, der hier übernachtet hatte. Auch ein Mitarbeiter aus der Psychatrie. Es wäre nichts gewesen, behauptete meine Geliebte. Doch warum lagen die Matratzen nebeneinander?
Danach ging ich nie wieder zu ihr. „Du kannst nicht teilen,“ belehrte sie mich, als wir uns trennten. Ich verstand nicht, was sie meinte, aber sie hatte recht. Ich wollte auf keinen Fall schizophren werden.
„Ich weiß, wie zuverlässig du bist,“ hatte mein Großvater mal zu mir gesagt. Sein Tod ging mir sehr nah, und es hat gestimmt – meistens. Aber ich weiß bis heute nicht, was Liebe ist. Vielleicht so eine Art Droge, die einen vorübergehend in die Unwirklichkeit stößt und dann in ihrer Wirkung nachläßt?

Warten in D

 

Wintersturm von Westen.
Oszillierende Wellen schwingen Spiegelungen
der Baumstämme im Teich.
Amplituden und Frequenzen synchron
zur Musik von Steve Reich.
Wellentanz Richtung Osten.
Interferierende Trance.
Als ich nach einiger Zeit des Starrens
auf’s Ufer blicke,
schiebt sich dieses nach Westen.
Auch die Insel schwimmt wie ein Krokodil
in die selbe Richtung.
Weißer Silberling segelt
aufgehender Sonne entgegen.
Braunes Eichenblatt torkelt über Wasserfläche,
konzentrische Wellen bildend.
Dann setzt der barong ein.

barong = balinesischer Tanz

Warten in D (II)

Knallt mir mal eben ein Kampfjäger
den Schwall in die Gedärme,
daß sie schwappen.
Kein gempa bumi,
kein Rauch.
Nirgendwo.
Nur viele tote Rupiah-Scheine.
Im waisenhaften Januar 98,
2 Jahre vor meiner Auswanderung.

gempa bumi = Erdbeben

Solitude

Nutzlandschaft

Und Thoreaus Waldenwasser vermischt sich mit dem heiligen Wasser des Ganges.
Von günstigem Winde wird es hinübergetrieben, treibt bei Ternate, Tidore vorüber,
verdunstet in den tropischen Winden des Pazifiks.
Oh Scheiße! Wann geht es endlich los?
And when you wait till it’s too late?
You will be lost in shadowland.
Und du wirst in Gottes Hände heulen.
Und die Scheiße wird aus dir rausfließen. (Sie spritzte nur so!)
„Wer allein ist, ist auch im Geheimnis.“ (Gottfried Benn)
Das Haus knackt in Frühlingswind und –wärme.
Einsames Akordeon.
Da bin ich nun wieder.
Kein Weg, kein Ziel.
Solitude.
„Das Pfauenrad zerschlagen“, spricht ein Dichter im Radio.
Nothing changes.
„If people don‘t entertain you, nature will do.”
John Updike bei der Beobachtung weißer Schneeflocken vor dunklem Himmel.